Ein sehr lesenswertes Buch über Haiti und zugleich ein Meilenstein in der Geschichte der Frauenliteratur!
„Literaturwerkstatt- kreativ / Blog“ stellt vor
„Töchter Haitis“ von Marie Vieux-Chauvet
Haiti – Port-au-Prince – Anfang der 1940er Jahre
Die junge Lotus gehört eigentlich der herrschenden „mulattischen“ Gesellschaftsschicht an, wird aber stigmatisiert weil sie die Tochter einer Prostituierten ist. Ihre Mutter hat sie aber finanziell gut versorgt indem sie ihr zwei Häuser vererbt hat. In einem wohnt Lotus selber mit zwei Bediensteten, das andere Haus hat sie vermietetet und von diesen Erträgen lebt sie.
„Sie führt ein Leben in Langeweile und zerstreut sich mit oberflächlichen Männerbekanntschaften. Unter ihnen ist nur einer, zu dem sie sich wirklich hingezogen fühlt: Georges Caprou, einer der Führer der Opposition gegen das herrschende Regime. Er öffnet Lotus die Augen für das Elend der Menschen in Haiti. Also gibt sie ihr ausschweifendes Leben auf, um den Ärmsten in ihrem Viertel zu helfen. Dabei wird sie von ihrem Nachbarn, dem alten Charles, unterstützt. Lotus und Caprou führen eine Beziehung mit Wechselbädern, die durch den revolutionären Kampf, dem sich Lotus angeschlossen hat, zusammengeschweißt wird. Die von ihnen entfachten Unruhen führen zum Sturz der Regierung. Doch auf die Begeisterung folgt die Ernüchterung: Sie haben die Büchse der Pandora geöffnet. Denn sobald sie von ihren Unterdrückern befreit sind, kehren die Menschen im Land zu ihren alten Dämonen zurück, der Rivalität zwischen Schwarzen und «Mulatten». Von der Polizei gejagt, verstecken sich Lotus und Caprou in den Bergen, wo sich die Ereignisse weiter zuspitzen … „

Fazit:
Marie Vieux-Chauvet (1916–1973) wurde in Port-au-Prince in Haiti geboren. 1954 legt sie mit „Töchter Haitis“ im Original „Fille d’Haïti“ ihren Debütroman vor und wurde gleich mit dem Prix de l’Alliance Française ausgezeichnet. Der Roman wurde jetzt erst ins Deutsche übersetzt und ist eine sehr interessante und informative Entdeckung.
Wir sprechen von einem Entwicklungsroman, in der wir die junge Protagonistin Lotus über mehrere Jahre begleiteten und erfahren von einem Leben, das sich sehr unterschiedlich gestaltet. Mal vergeht Lotus in unendlicher Langeweile, dann holen sie die Dämonen ihrer Kindheit ein, sie kämpft gegen Armmut, für Frauenrechte, gegen die männliche Dominanz und letztlich gegen das Regime.
Marie Vieux-Chauvet ist es hervorragend gelungen, die einzelnen Entwicklungsschritte – von einer unsympathischen jungen Lotus, hin zur reifen, reflektieren und sympathischen Frau, deutlich aufzuzeigen. Der Roman liest sich relativ flüssig, an manchen Stellen sprachlich etwas obsolet; auf der anderen Seite punktet die Autorin mit schönen Formulierungen und Beschreibungen. Mir persönlich hat gut gefallen, das im Roman manche kreolischen Begriffe übernommen wurden. Diese wurden von der Übersetzerin kursiv gesetzt und im hinteren Teil unter Anmerkungen erläutert. Das gab der Geschichte noch einmal mehr Authentizität.
Wir begeben uns in eine geschichtliche Zeitreise und erfahren von den damaligen politischen Ereignissen auf Haiti und den damit verbunden starken gesellschaftlichen Veränderungen und Verwerfungen. Hier sei auf das Nachwort von Kaiama L. Glover hingewiesen als wichtige Informationsquelle.
Ein sehr lesenswertes Buch über Haiti und zugleich ein Meilenstein in der Geschichte der Frauenliteratur!

Marie Vieux-Chauvet (1916–1973) wurde in Port-au-Prince in Haiti geboren. Ihr Vater war haitianischer Politiker, die Mutter stammte von den ehemals spanischen, seit 1898 zu den Vereinigten Staaten gehörigen Jungferninseln. Sie besuchte die l‘Annexe de l‘École Normale d’Institutrices und machte 1933 ihren Abschluss als Grundschullehrerin. Kurz darauf heiratete sie Aymon Charlier, einen Arzt, ließ sich aber vier Jahre später scheiden. Ihren zweiten Mann, Pierre Chauvet, heiratete sie 1942. Ab 1947 trat sie als Theaterautorin in Erscheinung. Ihr erster Roman «Fille d’Haïti» erschien 1954 und wurde mit dem Prix de l’Alliance Française ausgezeichnet. Es folgten die Romane «La Danse sur le Volcan» (1957) und «Fonds des Nègres» (1960), für letzteren wurde sie mit dem Prix France-Antilles geehrt. Als François Duvalier Präsident wurde und sich als Papa Doc zum Diktator aufschwang, bedeutete das für sie massive Einschränkungen. Sie war einziges weibliches Mitglied in der haitianischen Autorenvereinigung «Les Araignées du Soir» («Die Spinnen des Abends»). Die «Trilogie Amour, Colère, Folie» (1969) erschien auf Fürsprache Simone de Beauvoirs. Aus Angst vor Repressalien kaufte ihr Mann alle in Haiti befindlichen Exemplare auf. Schließlich musste sie ins US-amerikanische Exil gehen und lebte bis zu ihrem Tod in New York. Dort schrieb sie auch ihren letzten Roman, «Les Rapaces», der 1971 erschien.
Übersetzerin:
Deutsche Erstübersetzung durch Nathalie Lemmens, geboren 1976. Sie stammt aus dem deutschsprachigen Teil Belgiens, studierte Literaturübersetzen in Düsseldorf und übersetzt seitdem aus dem Französischen, Englischen und Niederländischen, u. a. Jean-Christophe Rufin, Adam Zamoyski und Gustaaf Peek.
Details:
Manesse Verlag (28.09.2022) (https://www.penguinrandomhouse.de/Buch/Toechter-Haitis/Marie-Vieux-Chauvet/Manesse/e599437.rhd) / Hardcover mit Schutzumschlag/ 288 Seiten / 28,00 Euro / ISBN:978-3-7175-2550-9 / aus dem Französischen von Nathalie Lemmens / mit einem Nachwort von Kaiama L. Glover
Danke für den Tipp, das klingt toll!
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